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Hexen, kämpfende Cholitas und koksende Häftlinge

La Paz: Eine Stadt, die nicht nur durch ihre Höhe beeindruckt

Wir sind seit etwa acht Stunden unterwegs. Unser Sitznachbar hält sich für eine Operndiva und singt lauthals mit der Musik mit, die er per Kopfhörer hört. Leider klaffen Selbst- und Fremdwahrnehmung meilenweit auseinander. Er singt so falsch, dass es weh tut.  Doch er ist mit voller Inbrunst dabei.

Der Bus hat sich inzwischen auf rund 4200 M ü.m. hochgeschraubt, als wir um einen Hügel fahren und sich der Blick auf La Paz das erste Mal öffnet. Ich falle fast vom Sitz, während ich versuche auf der gegenüberliegenden Seite einen Blick aus dem Fenster zu erhaschen. Ein riesiger Talkessel erstreckt sich vor uns und er ist über und über gefüllt mit kleinen Backsteinhäuschen. Haus an Haus, bis ganz nach oben in die Berge, egal wie steil sie sind. Es ist unglaublich. Überall sitzen Menschen neben kleinen Ständen oder Decken und verkaufen Früchte, Getränke oder bunte Handarbeiten. Sie scheinen aus einer anderen Zeit. Vor allem die Frauen, denn sie tragen voluminöse Röcke, farbige Tücher und Melonenhüte. 

 

 

Auch 30 Minuten später, als wir den Bus gegen ein Taxi eingetauscht haben, habe ich mich noch nicht erholt. La Paz hat mich in seinen Bann gezogen… Doch es ist nicht nur der Anblick der Stadt, der einem aus der Fassung bringen kann. Wie wir die nächsten Tage erfahren werden, verbirgt sich in der quirligen Stadt noch so einiges Unerwartetes. 

Der ungewöhnlichste Knast der Welt

Wir sind mitten in der Stadt auf der schönen Plaza Sucre. Ein unscheinbares weiss gestrichenes Gebäude grenzt an den Platz. Nichts deutet von Aussen darauf hin, dass es ein Gefängnis ist, ausser vielleicht die Polizisten beim Eingang. Aber was uns die Reiseleiterin auf der Stadttour erzählt, hat es in sich. Vor uns ist nicht irgendein Gefängnis, es ist das berühmt-berüchtigte Gefängnis San Pedro. Hier müssen die Häftlinge Eintritt bezahlen um ihre Haft antreten zu dürfen... richtig gelesen. Und damit nicht genug. Sie müssen sich auch eine Zelle, Möbel, Essen und sonst alles Lebensnotwendige selbst kaufen. Je nach Vermögen können sie aus Zellen in 5 Kategorien wählen. Es gibt alles, von Luxus-Apartments mit Whirlpool, Internet und sonst vielen Annehmlichkeiten, normalen kleine Wohnungen mit Küche und Flachbildfernseher bis hin zu kleinen Zellen, die mit anderen Häftlingen geteilt werden müssen. Die Insassen betreiben im Gefängnis kleine Läden, Restaurants, arbeiten als Ärzte, Schneider, Taxistas (Laufburschen) und was es halt sonst so braucht. Sie versorgen sich selbst. Soweit ja eigentlich ganz gut. Aber hat jemand kein Geld, kann es auch vorkommen, dass er draussen erfriert oder jahrelang auf seinen Prozess warten muss. Besonders die Anfangszeit in San Pedro ist hart, wenn die Neulinge ohne etwas ankommen und die wichtigste Regel des Knasts noch nicht kennen: Ohne Moos, nix los. 

 

Im Gefängnis leben aber nicht nur die Häftlinge, sondern auch deren Familien. Bis vor wenigen Jahren sogar die Kinder, die man jeden Morgen aus dem Gefängnis kommen sah, wenn sie sich auf den Weg machten, um zur Schule zu gehen. Dieses Gefängnis ist aber nicht nur aufgrund der etwas speziellen Wohnsituation der Häftlinge bekannt, sondern vor allem, weil in diesen unschuldigen weissen Gemäuern reinstes Kokain hergestellt und von dort aus in die ganze Welt verkauft wird. Für drei Bolivianos soll 1 Gramm zu haben sein (umgerechnet 45 Rappen). Die Häftlinge betreiben nachts heimlich Kokain-Laboratorien. Die Wärter? Sie verdienen mit und lassen sie darum gewähren. Mit ein paar Dollar ist in San Pedro auch sonst fast alles möglich.  Möchte ein Häftling gerne mal wieder in die Disco? In San Pedro kein Problem.

 

Bekannt wurde das Gefängnis durch Thomas McFadden, ein Drogendealer, der von 1996 bis 2000 in San Pedro inhaftiert war. Er hat irgendwann erlikt, dass er für ein paar Dollars nicht nur für ein paar Stunden aus dem Gefängnis raus kommt, sondern auch Besucher ins Gefängnis reinbringen kann. Bald ist daraus eine Touristenattraktion entstanden (stand sogar im Lonelyplanet*) und Thomas führte regelmässig Gäste durchs Gefängnis und feierte mit ihnen wilde Kokain-Partys. 

Glaubt ihr nicht? Dann empfehlen wir euch das Buch “Marschpulver” von Rusty Young. Es erzählt die eindrückliche und wahre Geschichte von Thomas McFadden (Link) und ist in Bolivien übrigens verboten, weil es Polizei, Justiz und Regierung nicht gerade ins beste Licht rückt. 

 

Sightseeing per Gondel

La Paz hat nicht nur den krassesten Knast der Welt, sondern ist auch die höchstgelegene Verwaltungshauptstadt (effektive Hauptstadt von Bolivien ist Sucre). Der reiche Süden liegt auf etwa 3200 Meter über Meer, je höher man kommt, desto ärmer wird die Gegend. Der nördliche Stadtteil El Alto (eigentlich ist es eine separate Stadt) liegt auf etwa 4100 Meter über Meer. Seit 2014 gibt es ein Gondelsystem, das ganz La Paz erschliesst. Der Ausblick ist phänomenal und so nutzten wir die Gondeln nicht nur zur Fortbewegung, sondern auch fürs Sightseeing. Bloss die vielen Treppen zwischen den einzelnen Linien haben uns manchmal ganz schön zu schaffen gemacht. Erinnert ihr euch an das Gefühl, wenn ihr in Zermatt zuoberst auf dem Gletscher oder auf dem Jungfraujoch aus der Bahn steigt? Genau so ging es uns in La Paz die ganze Zeit.

 

Auch beindruckt haben uns die Märkte. Der Markt in El Alto gehört zu den grössten weltweit, ein Labyrinth aus Früchten, Gemüse, Haushaltgeräten, Kleidern, Schuhen, ja sogar Autoersatzteilen. (Wie sie die schweren Sitze oder Verkleidungen aus dem engen und vollgestopften Markt heraus bringen, war uns ein Rätsel). Auf dem Mercado de las Brujas (Hexenmarkt) bekommt man neben Souvenirs auch Kräuter und Tränke für alle möglichen Leiden. Falls jemand auf der Suche nach Lama-Föten ist, wird er ebenfalls in dieser Strasse fündig. Sie sind neben Süssigkeiten, kleinen Figürchen und Kräutern, Zutat für traditionelle Zeremonien. 

 

Eines Abends fanden wir uns in einer kleinen Arena wieder, wo wir junge Frauen in traditionellen Kleidern anfeuerten. Sie waren aber nicht etwa Teil einer Folklore-Aufführung, was man vielleicht auf den ersten Blick anhand ihrer Outfits meinen könnte, nein. Es waren Wrestlerinnen, die uns eine knallharte Show lieferten (oder es zumindest so aussehen liessen).

Und für die Todesmutigen gibt es in la Paz eine Fahrt mit dem Bike auf der Death-Road. Ok, so gefährlich ist die Strasse heute nicht mehr. Seit 2007 gibt es eine Alternativ-Route, weshalb die Death-Road heute nur noch von den Touristen – mehrheitlich auf dem Zweirad – befahren wird. Vorher war es aber durchaus traurige Realität, dass auf dieser Strasse immer wieder Menschen ums Leben kamen, da sie oft vom Nebel verhüllt und vielerorts sehr eng ist und häufig hunderte Meter steil abfällt. Nervenkitzel ist aber immer noch garantiert und es empfiehlt sich, den Anweisungen der Guides zu folgen, möchte man den Rückweg nicht mit der Ambulanz zurücklegen. 

 

*Lonelyplanet = bekannter Reiseführer für Individualreisende 

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